Neuerscheinung: Publikation zu Wakamatsu Jôtarô von Christian Chappelow

Wakamatsu Jôtarô – Gedichte im Zeichen der Atomkatastrophe (April 2022)

Die Redaktion der Japanologie hat sich bis Februar mit der Herausgabe der Disserationsschrift von Christian Chappelow befasst. Der Band widmet sich Wakamatsu Jôtarô (1935-2021), dem „Propheten“ der atomaren Havarie von Fukushima. Seit Mitte der 1990er Jahre macht sich der Lyriker und Essayist, geprägt von den Eindrücken einer Reise nach Tschernobyl, Gedanken über die möglichen Folgen der Kernenergienutzung in seinem Land. Das Eintreten seiner literarischen Vorahnungen brachte dem über achtzigjährigen Wakamatsu nach 2011 eine – von ihm sicher so nicht gewünschte – große Bekanntheit und den späten Erfolg seines Werks. Die Publikation ging im April 2022 in Druck und ist über den EB-Verlag Berlin zubeziehen.

Zur Ansicht wird hier das Inhaltsverzeichnis sowie eine kurze Leseprobe gegeben:

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung: Wakamatsu Jōtarō – Ein „Prophet“ der Atomkatastrophe? 1
1.1.      Stellenwert und Biobibliographie Wakamatsus  1
1.2.      Forschungsstand  88
1.3.      Ziel der Studie  14
1.4.      Ablauf der Untersuchung  19 

2. Wakamatsus lyrisches Werk im Zeichen des Atomaren 22
2.1.      Gedichte bis 2011  22
2.1.1. Wakamatsus lyrisches Frühwerk: Mensch, Natur und Zeitgeschichte  22
2.1.2. „Tschernobyl“ und die Vorahnung einer japanischen Atomkatastrophe: Kanashimi no tochi かなしみの土地 [„Trauriges Land“] (1994)  33
2.1.3. Protest gegen die Informationspolitik TEPCOs vor 2011: Minami kaze fuku hi みなみ風吹く日 [„Der Tag des Südwinds“] (1992/2008)  40
2.2.      Gedichte nach 2011  46
2.2.1. Die Evakuierungserfahrung als (semi)biographische und kollektive Zeitgeschichte  46
2.2.2. Umwelt Fukushima  60
2.2.3. Kriegserinnerungen für eine atomare Gegenwart? Der Gedichtband Jūsai no natsu made sensō datta  69

3. Denkansätze und politische Ideen: Wakamatsus Gedicht-Essayistik 85
3.1.      Essayistik I: „Tschernobyl“ und atomare Zeitgeschichte bis 2011  85
3.1.1. Zur Rolle der Essayistik im Werk Wakamatsus  85
3.1.2. Die Sperrzone „Tschernobyls“ als Ort essayistischer Diskussion und Dokumentation des Atomaren: „Kiew – Moskau“ (1994)  90

3.1.3. Anti-Atom-Essays der 1980er und 1990er Jahre: Die „Vorstellungskraft“ (sōzōryoku) des Atomaren (kaku)  95
3.2.      Essayistik II: „Fukushima“ und atomare Zeitgeschichte nach 2011  105
3.2.1. Erfahrungsberichte zum Verlauf der Katastrophe: „Fukushima“ aus Sicht eines „Atomflüchtlings“ (genpatsu nanmin)  105
3.2.2. „Fukushima“ als „Atomkatastrophe“ (kakusai) der Nachkriegszeit  114
3.2.3. Politische Konsequenzen – Fragen der Verantwortung in der japanischen Nachkriegsdemokratie  118 

4. Das Atomare im japanischen Gegenwartsgedicht nach 3/11: Vergleich mit anderen Texten 129
4.1.      Bedingungen und Möglichkeiten einer Post-Fukushima-Lyrik  129
4.2.      3/11 und die japanische Lyrikszene – Von der Katastrophe zur Krise?  135
4.2.1.   Traditionelle Gedichtformen: Tanka und Haiku  135
4.2.2.   Moderne Gedichtformen: gendaishi  141
4.2.3.   Post-Fukushima-Lyrik des Coal-Sack-Verlags  158
4.3.      Eine Re-Politisierung der japanischen Gegenwartslyrik nach 2011? 167
4.3.1.   Das Themenspektrum soziopolitischer Bezugnahmen in der frühen Post-Fukushima-Lyrik  167
4.3.2.   „Fukushima“ als Zäsur: Literaturgeschichtliche Perspektiven  169
4.3.3.   Re-Politisierung in Diskussion – Abschließende Betrachtungen  174 

5. Fazit - Wakamatsu und der Ort des Atomaren im japanischen Gegenwartsgedicht nach 3/11 177
5.1.      Zum Wirkungsgrad Wakamatsus in seinem Spätwerk  177
5.2.      Wakamatsus Rolle als lyrischer Vertreter einer „Atomliteratur“ (kaku bungaku)  183
5.3.      Zum japanologischen Forschungsfeld Gegenwartslyrik nach „Fukushima“  193

6. Quellenverzeichnis 200

Anhang: Interview mit Wakamatsu vom 10. Mai 2020  228


Leseprobe / Textauszug:

Die Konsequenz aus 3/11 muss folglich auf dem Weg des Bürgerprotests initiiert werden, zeigen sich doch die demokratischen Institutionen für den Schriftsteller mitverantwortlich für Risiken und Folgen des Atomaren. Die von den Risiken der Atomenergie direkt betroffenen Menschen und insbesondere die AKW-Arbeiter seien vom japanischen Staat bewusst „im Stich gelassen worden“ (kimin-ka) (ebd.: 125–126). Seiner „Verantwortung“ (sekinin) wird der japanische Atom­staat nicht mehr gerecht; das Hinterlassen von radioaktivem Abfall nennt Wakamatsu gar eine „kriminelle Handlung“ (hanzai kōi) (ebd.: 126). In diesem verantwortungslosen Zustand „müssen die Schuldigen identifiziert werden“ (gen’insha-tachi no hanzai o akiraka ni shinakereba naranai), um eine Zukunft zu schaffen, um weitere „Verbrechen an der Menschheit“ (jinrui ni taisuru hanzai) zu verhindern (ebd.: 127). […] In enger Verbindung sieht Wakamatsu in seinem Spätwerk zwei diskur­sive Felder, die die (post-)demokratische Ordnung der Nachkriegszeit, die er von Anfang an mitverfolgt, in Frage stellen könnten: Die der „Atomkatastrophe“ (kakusai) und die der „Verfassung“ (kenpō). (S. 83)