Prof. Dr. Lisette Gebhardt (Japanologie Frankfurt): "Überlegungen zur aktuellen Lage von Literaturstudien. Länderspezifische Ansätze, Kondensat kommunikativer Praktiken und die Frage nach einer kritischen Japanforschung"

Im Rahmen des 6. Forums für literaturwissenschaftliche Japanforschung (Japanologie Wien, 8.-9. Juni 2018)


Wo steht die deutschsprachige japanologische Literaturwissenschaft?

Das „Forschungsobjekt“ Literatur erreicht sukzessive verschiedene Dimensionen der Geschichtlichkeit, das Ende der Ära „Heisei-Literatur“ steht unmittelbar bevor. Neuere literaturgeschichtliche Ansätze, zumindest auf dem Feld der Literatur nach 1945 bzw. der Gegenwartsliteratur (gendai bungaku), gibt es nur wenige. Mit der zeitgeschichtlichen Phasenverschiebung ginge jedoch die japanologische Aufgabe einher, Autoren und Texte einer Relektüre zu unterziehen, ebenso wie es ratsam wäre, Forschungs- und Fachgeschichte fortzuschreiben.

Während man die geschichtliche Ebene weitgehend ausspart, bleiben auch andere umfassendere Ansätze größtenteils vernachlässigt. Geforscht wird meist punktuell, wobei die Themenwahl relativ begrenzt ist und selten innovativ ausfällt. Eine neue lebendige Forschungslinie der rezenten deutschsprachigen japanologischen Literaturforschung ist schwer auszumachen, viele Arbeiten orientieren sich – mehr als Kondensat kommunikativer Praktiken denn als offene Debatte im Fach – am anglophonen Muster, obschon sich der vergleichende Blick etwa zur französischen Forschung schon aus Gründen der Relativierung einer von der amerikanischen Seite demonstrierten Diskurshoheit  lohnen würde. Insgesamt ist hierzulande eine gewisse Stagnation eingetreten, die nur selten durchbrochen wird – was auch den allgemeinen Veränderungen der akademischen Landschaft jenseits der Ordinarienuniversität zuzuschreiben wäre.

Die Zeit ist reif für eine Bilanzierung. Für die Suche nach möglichen Zukunftsperspektiven. Nicht zuletzt deshalb, weil Fremdbestimmung keine wünschenswerte Option darstellt. In einer Ära, in der (wieder?) verstärkt Einflussnahme durch externe Finanzierungsangebote erfolgt, sollte das Fach ebenso selbstbewusst wie unabhängig sein. Kritische Forschung darf gerade in der Ära Abe und nach einem Ereignis wie „Fukushima“ nicht eingeschränkt werden, wie auch Intellektualität und philologisch-sprachliche Sensibilität idealerweise zu bewahren sind.


Datum:
8. Juni 2018
Ort: Japanologie, Universität Wien